Keine Öffentlichkeit für die Empfehlungen des ersten Stuttgarter Klima-Bürger*innenrats?

„Bürgerat Klima“ beschließt Empfehlungen für klimaneutrales Stuttgart

Der Kleine Kursaal in Bad Cannstatt bildete am vergangenen Samstag den würdigen Rahmen für den Abschluss des Stuttgarter Bürgerrats Klima. An sechs Samstagen haben die 61 Teilnehmer*innen, die sich vorher nicht kannten und aus völlig unterschiedlichen Lebenssituationen zusammenkamen, viel über den Klimawandel gelernt, sich Gedanken gemacht, diskutiert und einander zugehört und schließlich ihre Empfehlungen beschlossen, mit deren Hilfe Stuttgart der Einhaltung des Pariser 1,5°-Ziels näher kommen soll.

Wenn nun die interessierte Öffentlichkeit sich mit den Empfehlungen des Bürgerrats beschäftigt, wird es sicher auch Kritik am Verfahren und seinen Ergebnissen geben. Dennoch hat der Bürgerrat und seine Teilnehmenden für Stuttgart ein Stück Demokratiegeschichte geschrieben. Das noch neue Instrument der Bürger*innenräte hat es verdient, nicht strenger beurteilt zu werden als üblicherweise die Abläufe und Entscheidungen in den etablierten Gremien der repräsentativen Demokratie. Dass hier und da noch Kinderkrankheiten zu überwinden sind, steht außer Frage und bedarf gründlicher Evaluierung. Ebenso wie die Frage, welchen institutionalisierten Platz Bürger*innenräte künftig einnehmen und ob sie z.B. durch Bürgerentscheide legitimiert werden sollten.

Öffentlichkeit und Presse müssen draußen bleiben

Leider hatten zu dem besonderen Ereignis am letzten Bürgerratstag weder Öffentlichkeit noch Medienvertreter*innen Zutritt. Dass die Bürgerrät*innen während ihrer vorausgegangenen Beratungen vor zu viel neugieriger Öffentlichkeit geschützt und ungestört sein sollten, war sinnvoll und nachvollziehbar. Es waren hier schließlich keine Profipolitiker*innen am Werk, sondern eine bunte Schar normaler Bürger*innen, die weder verunsichert noch beeinflusst werden sollten. Der krönende Abschluss jedoch war durchaus von öffentlichem Interesse.

So waren nur wenige Gäste bei der Abstimmung über die Empfehlungen zugelassen. Anzutreffen waren Vertreter*innen der Gemeinderatsfraktionen, OB Dr. Nopper und der Leiter des Referats Strategische Planung Martin Körner sowie einige Mitglieder der Initiative „Bürger*innenratKlimaStuttgart“, die in knapp dreijähriger Vorarbeit den Bürgerrat auf den Weg gebracht hatte. Während Herr Nopper und Herr Körner nach der Abstimmungsrunde über 26 Empfehlungen zu Verkehr und Wärme den Bürgerrät*innen ihren Dank für die geleistete Arbeit aussprachen, bekam die Initiative entgegen der ursprünglichen Planung dazu keine Gelegenheit. „Wir hätten gerne auch den Teilnehmer*innen für ihr tolles Engagement und ihren Enthusiasmus bei der Erprobung dieses neuartigen demokratischen Instruments für eine gemeinwohlorientierte Bürgerbeteiligung gedankt. Außerdem wollten wir sie einladen, zu den im Herbst geplanten Bürger*innencafés zu kommen, um dort über ihre Erfahrungen in und mit dem Bürgerrat zu sprechen.“ bedauert Irene Kamm, Mitglied der Initiative. „Beim anschließenden Sektempfang konnten wir wenigstens einem Teil der Bürgerrät*innen unsere Anerkennung aussprechen. Dabei ergaben sich sehr interessante Gespräche und ein bereichernder Austausch.“ ergänzt Matthias Pfaff.

Keine Zeit zu verlieren beim Klimaschutz: Information der Stadtgesellschaft und die öffentliche Debatte müssen weitergehen

Die sogenannten Bürger*innencafés, die die Initiative zusammen mit dem Fraunhofer Informationszentrum für Raum und Bau in verschiedenen Stadtbezirken durchführen möchte, haben u.a. das Ziel, die Empfehlungen des Bürgerrats Klima in der Bevölkerung bekannt zu machen, sie breit zu diskutieren und Eigeninitiative für Klimaschutz z.B. durch nachbarschaftliches Engagement anzuregen.

Seit heute sind die Empfehlungen, von denen lediglich zwei keine Mehrheit bei der Abstimmung erhielten, nun auf der Homepage der Stadt nachzulesen. Eine wertschätzende öffentliche Vorstellung derselben im Gemeinderat findet jedoch vorerst nicht statt. Wer sich genauer informieren will, muss selbst aktiv im Internet danach suchen. „Wir hätten erwartet, dass seitens der Stadt in Anerkennung für die Arbeit und die Ergebnisse des Bürgerrats mehr Bemühungen erfolgen, die Öffentlichkeit zu informieren und für das Thema zu interessieren.“ meint Wolfgang Olbrich. Stattdessen werden sich jetzt erst einmal die Fachämter mit der Bewertung der Empfehlungen befassen, bevor sie im Herbst – hoffentlich rechtzeitig – in die Gemeinderatsgremien eingebracht werden. „Es ist sehr wichtig, dass die Prüfung durch die Verwaltung jetzt wirklich schnell geht. Der Zeitplan bis zu den Verhandlungen über den Doppelhaushalt 2024/25 ist eng. Wenn die Verwaltung es nicht schaffen sollte, rechtzeitig eine Beschlussvorlage zu erstellen, könnte das die Umsetzung der Empfehlungen sehr erschweren und schlimmstenfalls erneut zwei Jahre ungenutzt vergehen.“ sagt Irene Kamm.

Die Mitglieder der Initiative zeigen sich darüber besorgt, dass der Weg zu gesamtgesellschaftlichen Lösungen für Stuttgarts Klimaneutralität immer weiter hinausgezögert wird. „Wir haben bereits ein Jahr verloren, denn ursprünglich war der Bürgerrat für das Frühjahr 2022 vorgesehen.“, so Olbrich weiter mit Blick auf die stockende Heizungsdebatte.

Je kürzer die verbleibende Zeitspanne wird, desto einschneidender müssen Maßnahmen zur CO2-Einsparung und zur Klimaanpassung ausfallen. Dass es bei der Umsetzung immer noch hapert, zeigte sich erst kürzlich, als vom Amt für Umweltschutz das Ziel für Photovoltaik-Installation, wie es von McKinsey im Auftrag der Stadt definiert worden ist, kurzerhand um 75% nach unten reduziert wurde. Vorschläge, mit welchen Alternativmaßnahmen statt dessen das Klimaneutralitätsziel 2035 erreicht werden soll, wurden vom Amt jedoch keine gemacht.

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